Seit 1988 kann die AG Jüdischer Friedhof auf eine Mitgliederzahl von ca. 350 aktiven Schülerinnen und Schülern aus allen Jahrgangsstufen zurückblicken. War bei manchen die Mitarbeit nur von kurzer Dauer, so zeigten andere ein über längere Jahre anhaltendes Engagement.
Motive
Es mag die Frage aufkommen, was junge Menschen bewegt, freiwillig in einer Arbeitsgemeinschaft mitzuarbeiten, die sich die Pflege eines alten jüdischen Friedhofs zur Hauptaufgabe gesetzt hat und sich zudem der Korrespondenz mit emigrierten Solinger Juden widmet – Aufgaben, die zeitintensiv sind, Einsatz und Engagement verlangen. Einige Mitglieder der AG gaben dazu folgende Antworten:
Sarah G. (Klasse 7): Die Geschichte der Juden hat mich schon immer interessiert und ich habe schon viele Bücher darüber gelesen. In der AG hoffe ich noch mehr zu erfahren. Der andere Grund ist, dass ich auch gern mal im Garten arbeite und auch gerne an der frischen Luft bin.
Tordis M. (Klasse 7): Ich bin in der AG aktiv, weil ich etwas über die Geschichte der Juden erfahren will. So etwas wie in der Vergangenheit darf nie wieder vorkommen.
Daniel C. (Klasse 10): Ich bin Mitglied der AG Jüdischer Friedhof, weil ich etwas über die Geschichte und Kultur des Judentums lernen möchte. Außerdem sind wir die Generation, die sich dafür einsetzen muss, dass so etwas wie in der Vergangenheit mit den Juden geschehen nie wieder passiert. Durch den Israel-Austausch habe ich viel über die Geschichte der Juden gelernt.
Henning N. (Klasse 10): Jüdischer Friedhof: Mehr als nur tote Steine! Schon zu meiner Kindheit wurde ich im Elternhaus über den Holocaust aufgeklärt. Besonders tief ist mir das Buch „Rosa Weiss“ mit seinen tristen Bildern in Erinnerung geblieben. Meine Schwester Natascha erzählte zu Hause oft von der AG, in der sie seit der 8. Klasse mitwirkte. Nach einigen Besuchen auf dem Friedhof wuchs das Interesse an den Geschichten des Solinger Holocaust, an den Geschichten der Menschen, die auf dem jüdischen Friedhof beerdigt liegen, an deren Verwandten und Freunden, die emigriert sind, in alle Länder dieser Welt.
Der Briefkontakt zu den ehemals in Solingen lebenden Juden wirkte beeindruckend, aus den Erzählungen bekam ich ein Bild von Solingen, das ich noch nicht kannte, einen Einblick in die Schicksale der Juden in Solingen.
Der Briefkontakt wurde lebendig durch Besuche der Kontaktpersonen und Reisen nach Brüssel zu Frau Schlussel sowie nach London zu Frau Shindel.
Das größte Erlebnis war für mich ein Schüleraustausch nach Israel. Aus diesem wuchs eine Freundschaft zu vielen Jugendlichen in Ness Ziona, so dass ich ein halbes Jahr später erneut nach Israel flog. Der Friedhof ist für mich nicht nur ein Platz mit Grabsteinen, sondern ein Ort, der mich an Freundschaften, Geschichten, Schicksale, schweißtreibende Arbeit (besonders im Herbst, wenn das Laub fällt!) und Verantwortung erinnert. Ich hoffe, dass die Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof in Zukunft viele Helfer und Freunde findet und somit erhalten bleibt.
Miriam R. (Klasse 10): Ich bin sehr geschichtsinteressiert und von Erzählungen und von meinem Lehrer wusste ich von der AG. Als ich an einem Samstag meinen Onkel besuchen ging, er wohnt in der Vereinsstraße, dachte ich, ich könnte mir den Friedhof einmal anschauen. Ich wusste nicht genau, wo dieser war, also fragte ich die vorübergehenden Leute und sie wiesen mir den Weg. Ich kann mich nicht erinnern, was ich dachte, welche Erwartungen ich hatte, aber eins kann ich sagen: Was ich sah, erstaunte und überraschte mich sehr. Ich stand vor dem Tor des alten jüdischen Friedhofs, es war verschlossen. Ich schaute durch die Gitterstäbe und sah wunderschöne alte Bäume und unter diesen Bäumen waren alte Grabsteine, kunstvoll behauene Steine, die zum Gedenken der jüdischen Menschen, die in Solingen einmal lebten, dort stehen. Es war ein ganz besonderer Moment für mich.
Ich hob einen Stein, der am Wegrand lag, auf und legte ihn auf den Davidstern, der am Tor des Friedhofs angebracht ist. Bewegt ging ich nach Hause und am nächsten Tag ging ich zum Leiter der AG, Herrn Sandmöller, und sagte, dass ich der AG gerne beitreten würde.
Jetzt bin ich seit einem Jahr in der AG und es macht mir Spaß, die alten Grabsteine zu pflegen. Ein Grabstein ist mir besonders ans Herz gewachsen. Ich weiß nicht, von wem er ist, denn er ist verwittert, dass man den Namen nicht mehr lesen kann. Trotzdem versuche ich immer ihn von dem Moos zu befreien – Das Datum der Geburt dieser Person kann man wieder erkennen.
Thomas M. (Klasse 12): Die Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof ist ein Zeichen dafür, dass mich die Geschichte des Judentums in Deutschland interessiert. Wenn ich dazu beitrage, den Friedhof zu erhalten, weiß ich, dass ich etwas Gutes tue. Außerdem macht mir das Arbeiten in der Gruppe einfach Spaß.
Simon S. (Klasse 12): Meine Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft Jüdischer Friedhof ist Ausdruck dafür, dass mich die Geschichte der Juden in Deutschland interessiert und vielleicht habe ich auch das innere Gefühl etwas wiedergutmachen zu wollen. Meine Korrespondenz mit einer vertriebenen Jüdin und das Arbeiten auf dem Friedhof helfen mir zu zeigen, dass wir den Holocaust nicht vergessen dürfen und gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit angehen müssen.
Susanne R. (Klasse 12): Ende 1996 bin ich Mitglied der AG Jüdischer Friedhof geworden. Meine beiden älteren Schwestern nahmen schon seit einiger Zeit an der AG teil. Neugierig geworden von ihren Erzählungen, aber doch ohne konkrete Vorstellungen, beschloss ich die Arbeit der AG näher kennenzulernen. Den Ausschlag der AG beizutreten, gab mein erster Besuch des jüdischen Friedhofs am Estherweg. Bis dahin kannte ich nur christliche Friedhöfe und verband mit ihnen Unruhe und farbenprächtige, schon beinahe kitschige Pflanzenvielfalt. Ich ging davon aus, jüdische Friedhöfe seine genauso und war erstaunt einen so ruhigen, von überlegener Schlichtheit erfüllten Friedhof vorzufinden. Tief bewegt stand ich in der Mitte des Friedhofs und beobachtete ein kleines Eichhörnchen, das einen Baum hochkletterte. In diesem Moment dachte ich nur, dass dies der schönste, friedvollste Ort auf Erden sei. In mir empfand ich einen Frieden, wie selten zuvor und selten danach. Auch al ich mich geschichtlich und politisch weiterbildete, mehr über den Holocaust erfuhr, vergaß ich nie das Bild dieser friedvollen Verbindung von Natur und Mensch auf dem Friedhof am Estherweg.
Primär verbinde ich mit der AG aber andere Bilder: meinen Briefkontakt mit Frau Shindel in England, den Mahngang zum 60. Jahrestag der Pogromnacht, den Israel-Austausch und vieles mehr. Alle diese Bilder erinnern mich immer wieder daran, dass die schlimmste Menschheitstragödie „Vergessen“ heißt.
David K. (Klasse 7): Ich bin in der AG Jüdischer Friedhof, weil ich schon viel über die Judenverfolgung gehört habe und jetzt noch mehr erfahren möchte. Die Arbeit auf dem Friedhof macht außerdem noch Spaß und hilft gleichzeitig den Friedhof zu erhalten.
Sven H. (Klasse 6): Ich bin in der AG, weil ich mehr über das Leben und die Geschichte der Juden lernen möchte.
Kassandra W. (Klasse 6): Ich bin gerne in der AG, weil ich die Gartenarbeit mag und weil ich den Friedhof sehr interessant finde.
Roger S. (Klasse 11): Ich bin in der AG tätig, weil ich mich für das Leben der jüdischen Bevölkerung interessiere und mehr über die Geschehnisse zur Zeit des Nationalsozialismus erfahren möchte. Ich denke, dass ich mit der Pflege des Friedhofs einiges gut machen und sein Erbe schützen und bewahren kann. Außerdem macht es mir Spaß in der AG neue Freundschaften zu knüpfen und Erfahrungen im Bereich der Landschaftsgestaltung zu sammeln.
Max S. (Klasse 9): Ich habe mit meinem Freund schon viele AGs ausprobiert und bin jetzt schon zum zweiten Mal der AG Jüdischer Friedhof beigetreten, weil es mir Spaß macht, an der frischen Luft zu arbeiten. Außerdem erfahre ich so mehr über die Geschichte jüdischen Lebens in Solingen.
Kevin G. (Klasse 9): In der AG kann ich nette Menschen treffen und ich lerne etwas über die Geschichte der Solinger Juden. Außerdem arbeite ich gerne an der frischen Luft.
Pascal W. (Klasse 11): Ich engagiere mich in der AG Jüdischer Friedhof, weil ich mit 12 Jahren den Film „Das Tagebuch der Anne Frank“ gelesen habe, welches eine Veränderung in mir ausgelöst hat. Seit diesem Moment interessiere ich mich noch mehr für die Geschichte und für das Thema Juden in Deutschland. Obwohl wir nicht die Generation sind, die etwas für die brutalen, unbeschreiblich schrecklichen und teuflischen Taten der Nazi-Deutschen kann, geschahen diese Taten dennoch im Namen der Deutschen. Dies gibt mir die Motivation mich in der AG und auf dem Friedhof zu engagieren, damit nicht in Vergessenheit gerät, was in Deutschland geschah.
Vor allem bedeutet die Mitarbeit in der AG ja nicht nur Arbeit auf dem Friedhof, sondern man kommt zudem auch mit Überlebenden und deren Angehörigen in Kontakt. Speziell durch den Schüleraustausch Ness Ziona – Solingen 2008 kam ich persönlich mit Überlebenden des Holocaust in Kontakt, diese Erfahrungen schockten mich, obwohl ich schon viel zum Thema gelesen und bereits einige Konzentrationslager besucht hatte.
Ich halte diese AG für sehr wichtig, um nicht zu vergessen, was für Schreckliches und Unmenschliches in Deutschland geschah und um nicht zu leugnen, dass es den Holocaust gab.
Annemarie K. (Klasse 12): Mein Interesse hinsichtlich des Nationalsozialismus in Deutschland wurde erst relativ spät geweckt. Nie habe ich mich wirklich mit diesem Thema auseinandergesetzt, denn es fiel mir einfach unheimlich schwer. Möglicherweise war ich auch zu unreif, um mich mit diesen Grausamkeiten zu befassen. Natürlich hörte man so einiges über Nazi-Deutschland und all die teuflischen Taten, aber richtig intensiv habe ich mich erst im Alter von 13-14 Jahren damit auseinandergesetzt.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie wir im Geschichtsunterricht an meiner alten Schule ein Projekt begonnen haben, welches uns über den Nationalsozialismus aufklärte. Dieses Projekt umfasste mehrere Stationen, von Hitlers Machtübernahme bis hin zur Deportation der Juden und deren skrupelloser und schrecklicher Vernichtung. Noch nie ist mir etwas so nahe gekommen, wie die Fotos von Menschen sehen zu müssen, die bis auf ihre Knochen abgemagert oder schon ermordet waren. Nachdem ich mit einem Überlebenden des Holocaust sprechen durfte und auch im vergangenen Jahr in Auschwitz war, habe ich einfach für mich festgestellt, dass ich mich weiterhin mit dem Nationalsozialismus befassen möchte.
Zwar wusste ich, dass es einen jüdischen Friedhof in Solingen gibt, jedoch nicht, dass die Möglichkeit besteht, dass Jugendliche sich darum kümmern können und diesen pflegen können. Als ich schließlich von meinem Freund Genaueres über das Engagement der AG Jüdischer Friedhof der Gesamtschule erfahren habe, wollte ich mich dieser anschließen. Ich finde es einfach großartig, dass die AG den Friedhof und es nicht zulässt, dass Vergangenes in Vergessenheit gerät.
Ich fühle mich zudem auch wesentlich besser, wenn ich mich engagieren und zu etwas Positivem beitragen kann.
Tobias L. (Klasse 7): Ich bin in der AG, weil es mir Spaß macht. Außerdem möchte ich auch, dass der Friedhof nicht verfällt, sondern erhalten bleibt.
Es ist schon erstaunlich, wie es immer wieder gelingt, junge Schülerinnen und Schüler für diese exotische Arbeitsgemeinschaft zu gewinnen, die von ihren Mitgliedern über die schulischen Verpflichtungen hinaus Zeit und Engagement verlangt – ein ermutigendes Zeichen in einer Zeit, in der den Jugendlichen immer wieder Desinteresse und Gleichgültigkeit vorgehalten werden.
Das selbst gewählte Motto der AG lautet:
„Wir wollen dafür eintreten, dass nicht mehr Unverständnis und Hass, sondern Verständnis und Liebe unser Verhalten den Mitmenschen gegenüber bestimmen.“
Allen ehemaligen und noch immer aktiven Schülerinnen und Schülern gebührt große Anerkennung und ein herzliches Dankeschön für ihre freiwillig und mit vorbildlichem Einsatz geleistete Arbeit.